Alltagsanekdoten / everyday life

Von „Die Schweizer – ein Volk der Egoisten, Neurotiker, Herzlosen und ewig Gestrigen?“ zu Pema Chödrön/When things fall apart

Die Schweiz hat gewählt. Was ich davon halte: so ziemlich und ordentlich gar nichts. Beziehungsweise hat die Schweizer Bevölkerung mir einmal mehr bestätigt, was ich ihr seit eh und je ankreide. Ich kann jetzt dagegen zettern, vor allem die SVP und ihre Anhänger mit Schimpf und Schande bewerfen, meinem Frust dadurch Luft machen, doch bringt es nichts. Im Gegenteil, noch mehr Negativität verbreitet sich… Und einmal mehr mach ich’s dann so gar keinen Deut besser als diejenigen, denen ich genau das vorwerfe. 

Schlussendlich steckt hinter meiner Wut vor allem Trauer. Trauer darüber, dass der Mensch sich vielerorts wieder und wieder so egoistisch, neurotisch und herzlos zeigt. Und dass wir nicht daraus zu lernen scheinen. (Vielleicht auch tatsächlich zu nichts anderem bestimmt sind, schlichtweg nicht über unsere Schatten springen können?) 

Zugegeben, nach zwei Jahren im Ausland kämpfe ich sowieso damit, jetzt wieder in der Schweiz zu sein. Wie nach jeder Reise ins Ausland, so kurz sie auch gewesen sein mag. Ich weiss nicht, wieso weshalb warum es zur Schweizer Mentalität zu gehören scheint, sich in seinen Ängsten zu verbohren und das Herz hinter tausenden von Mauern zu verbarrikadieren. Es stimmt mich aber traurig, immer und immer und immer wieder. Und es ist wohl auch nicht nur eine Schweizer Spezialität, wobei es aber wohl unumstritten ist, dass wir Schweizer nicht gerade zu den herzlichsten Völkern auf Erden gehören. 

Wir alle haben sie gesehen, die Bilder der Flüchtlinge, oder zum Beispiel auch auf Humans of New York ihre Geschichten gelesen. Ich hätte geglaubt und gehofft, dass die Mehrzahl der Menschen Mitgefühl mit diesen ebenfalls Menschen empfindet. Dankbar dafür ist, nicht in ihren Schuhen zu stecken, und sich bereit erklärt, ihr Möglichstes dafür zu tun, dass wir alle zu unseren Grundrechten kommen und uns unsere Grundbedürfnisse erfüllen können. Genauso wie wir auch froh darum wären, wenn es sich andersherum verhielte. Offensichtlich einmal mehr sehr falsch gedacht… Wobei ich halt auch sagen muss, dass ich es total deplatziert finde, das Elend solcher Menschen für einen Wahlkampf auszuschlachten, und es umso beschämender finde, wenn dies noch dermassen belohnt wird. 

Ich wäre ja schon lange dafür, Flugzeuge nach Syrien zu schicken, damit Menschen, die sehr offensichtlich an Leib und Leben bedroht sind, diese gefährlichen Reisen nicht länger auf sich nehmen müssen. Klaro, die SVP und ihre Anhänger würden mich dafür lieben. Aber auch dafür hätte ich eine Lösung, ganz im Sinne der Effizienz: Damit die Flugzeuge nicht leer runterfliegen, würde ich sie mit eben diesen SVPlern und Anhängern beladen. Nicht, weil ich ihnen grundsätzlich Böses will (manchmal dann zwar eben schon), aber sie müssten sich dann nicht länger über die Flüchtlinge in ihrer Gegenwart beschweren, weil sie dann in Syrien wären, wo die Flüchtlinge ja bekanntlich nicht mehr sein wollen. Zudem könnten sie mal selbst erfahren, wie es da so ist, und würden allenfalls ihre Meinung darüber revidieren, dass es sich vor allem um Schmarotzer und gar keine echten Flüchtlinge handelt. Weil sie’s dort doch eigentlich so wahnsinnig schön haben – mal von Verfolgung, Folter und Ermordung abgesehen.

Es macht mich wütend, ja, aber vor allem auch verzweifelt, dieser Egoismus, diese Abschottung, diese Arroganz. Als ob wir Schweizer nicht von unseren Mitmenschen – auch ausserhalb der Schweiz – abhängig sind. Und warum sollten wir es auch nicht sein wollen, gerade die reisefreudigen Schweizer, die andere Kulturen und Länder, zumindest im Urlaub, ja doch auch zu schätzen scheinen (oder nur die billigeren Preise?). 

Ich kann und mein Ego möchte sich auch zu gerne und arg aufregen, aber es ändert ja nichts an der Situation und führt auch zu keiner Änderung. Im Gegenteil, es sät erneut Negativität, und davon haben wir hier offensichtlich schon genug. Was also tun? Doch wieder gehen und durch die Welt tingeln? Auf Reisen waren mir viele Schweizer begegnet, die nicht mehr zurück wollen, sich hier nicht heimisch fühlen. Wie gut kann ich sie verstehen. Dennoch, und das sagte ich ihnen auch, finde ich es sehr schade, wenn „alle Andersdenkenden“ Reissaus nehmen, denn wie soll sich so je was verändern? Vor allem nehmen wir uns ja auch immer selbst mit. Und schlussendlich ertrage ich meine eigene Swissness ja am Allerwenigsten – meine eigene Verbohrtheit und Abschottung, meine Neurosen und meinen Egoismus. (Wobei es wohl auch viel umfassender um unser aller Menschlichkeit geht, mit all ihren dunklen Seiten, Schwächen, ihrer Verletzlichkeit und dem damit einhergehenden Ego, ohne das wir alle nicht auskommen, um hier auf Erden bestehen zu können. Die Schweizer kriegen’s nur immer wieder besonders von mir ab, weil sie dieses immense Glück haben, mich unter sich zu wissen…)

Bis hier hatte ich es kurz nach den Wahlen geschrieben und dann das Ganze wieder irgendwie verworfen. Was bringt’s denn auch? Einmal mehr verliere ich mich im Aussen, in einem Gegner. Was mein Ego ja liebt, gegen etwas zu sein und sich darüber zu definieren, genauso wie es ja auch die SVP bravourös macht – wir sind uns da gar nicht so unähnlich, autsch! Vor wenigen Minuten diesen Text dann nochmals überflogen, und jetzt lese ich in „When things fall apart“ von Pema Chödrön (ich kann ihre Bücher nur wärmstens empfehlen): a society based on lots of people addicted to getting ground under their feet is not a very compassionate place. Und das sagt doch eigentlich alles… Ihr Gegenvorschlag: zu lernen, diese „groundlessness“ (Bodenlosigkeit) auszuhalten, uns in diese zu entspannen. 

„If we’re willing to give up hope that insecurity and pain can be exterminated, then we can have the courage to relax with the groundlessness of our situation. […] Without giving up hope – that there’s somewhere better to be, that there’s someone better to be – we will never relax with where we are or who we are.“ 

„When we draw a line down the center of a page, we know who we are if we’re on the right side and who we are if we’re on the left side. But we don’t know who we are when we don’t put ourselves on either side. Then we just don’t know what to do. We just don’t know. We have no reference point, no hand to hold. At that point we can either freak out or settle in.“ 

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