Das Streben nach Achtsamkeit, es ist allgegenwärtig. Und auch ich versuche mich daran, schon länger. Es macht ja auch total Sinn, im Moment zu leben, nicht über Gestern zu grübeln oder Morgen zu verplanen. Nur ist es für mich unglaublich schwierig, wenn ich dies nie gelernt habe, es nun am liebsten per sofort zu meistern. Wie anders wäre es gewesen, hätte ich bereis in der Kindheit – im Elternhaus oder in der Schule – zu meditieren gelernt, auf mein Inneres, mein Befinden und meine Gefühle zu achten. Stattdessen wurde mir eher das Gegenteil antrainiert und mir abverlangt, mich anzupassen, meine Bedürfnisse und Gefühle regelmässig zu übergehen und zu unterdrücken, mich einzufügen.
So übe ich mich nun, alte, destruktive Muster hinter mir zu lassen, um endlich zumindest ansatzweise bei mir selbst anzukommen, doch Unterstützung dabei erhalte ich wenig. Denn wer will schon, dass ich mir gut schaue, für mich und meine Bedürfnisse einstehe und folglich auch einmal Nein sage. Ich ecke an damit, konstant, und dies setzt mir zu. Ich werde dann zur Egoistin, asozial, kompromisslos. Dieser mittlere Weg, den es zu findet gibt, und immerzu abzuwägen zwischen meinen Bedürfnissen und denjenigen anderer. Es auszuhalten, dass sie es nicht mögen, wenn ich Nein sage oder nicht so möchte, wie sie das gerade bequem fänden. Von einer, die immerzu darauf fixiert war, was andere wohl denken könnten und brauchen, zu einer, die sich nun miteinbezieht und einfach auch mal auf die Meinung der anderen „scheisst“, je öfter, desto besser. Denn es allen recht machen, das schaff ich nie, und wenn ich tausend Frauchen mache, mir jedes Haar einzeln ausreisse und zu Nelson Mandela, Mutter Teresa und Lady Gaga gleichzeitig werde. Ich werde immer irgendwo anecken, und damit muss ich leben.
Audrey Hepburn sagte einmal: „Wenn du immer das tust, was du möchtest, ist wenigstens schon mal ein Mensch glücklich.“ Aber weiss ich denn überhaupt noch, was ich will? Habe ich mich über all die Jahre hinweg nicht dermassen gut abrichten und integrieren lassen, dass ich schon gar nicht mehr weiss, wer ich wirklich bin? Dass es alles zu hinterfragen gilt, jede (Denk)Gewohnheit, jede Beziehung,… Ein Fass ohne Boden. Und je mehr ich mich beobachte, umso mehr sehe ich all diese hässlichen Gewohnheiten und Gedankengänge, die ich doch eigentlich gar nicht sehen will. Die mich mir selbst so unglaublich unsympathisch machen. Die es mir gleichzeitig aber auch erlauben, gütiger mit anderen zu sein, da ich sehe, dass ich keinen Deut besser bin und sie alle in mir habe: die Süchtige, die Narzisstin, die Aggressive, die Manipulative, die Rassistin, die Egoistin, das Opfer, die Faule. Aber auch die Pazifistin, die Selbstlose, die Bescheidene, die Tolerante, die Fleissige, die Ehrliche, die Gelassene – nur all die Letzteren wohl lange nicht in dem Ausmass, wie mein Ego und ich das gerne von mir hätten.
Nein, ich bin nicht perfekt und werde es nie sein, und das ist schwierig auszuhalten, denn es bietet Angriffsfläche. Und ich werde nicht gerne angegriffen, meide Konflikte, möchte doch so gerne geliebt und akzeptiert werden, liebe und akzeptiere aber selbst erschreckend wenig. Es ist schockierend, was da so alles an die Oberfläche will, wenn man es einmal lässt. Und noch immer bin ich meilenweit entfernt von der immerwährenden Achtsamkeit; Schlinge mein Essen in mich rein, meditiere viel zu selten (das mit der täglichen Meditation will einfach nicht), bin auch im Yoga mehrheitlich gedanklich sonstwo, grüble viel über das, was war, und möchte doch so gerne das kontrollieren, was kommt – mein Leben im Griff haben.
Aber habe ich so wirklich mein Leben im Griff und nicht vielmehr das Leben mich? Diese Illusion, der wir nachrennen, dass wir auch nur ansatzweise die Kontrolle über irgendwas hier haben. Dass, wenn wir nur alles „richtig“ machen, uns nichts passieren kann, und dass einem von einem Tag auf den anderen der Boden unter den Füssen wegbricht, dass dies nur den anderen passiert, die ihr Leben eben nicht im Griff haben. Die anderen. Es möglichst weit von mir wegschieben, mich von ihnen abgrenzen, mich der Illusion hingeben, dass es nur einer gewissen Sorte Mensch passiert, und ich mit dieser, Gott sei Dank, nichts gemein habe. Bis es dann mir selbst passiert. Und ich mich als grösste Versagerin überhaupt fühle, da es mir doch nicht passieren darf, ich doch immer alles gemacht habe, was ich sollte und dies nun wohl doch irgendwie zu wenig gewesen sein muss, denn wie sonst soll ich es mir erklären, verstehen.
Verstehen will ich, denn wenn ich verstehe, weiss ich, wie ich es zu machen habe, damit es eben nicht passiert. Nur dass das Leben nicht verstanden oder kontrolliert werden kann. Es kann nur gelebt, erfahren werden. Und dafür braucht´s dann eben die Achtsamkeit…