Hochsensibilität / high sensitivity

„Sensibler als erlaubt“…

Diese Tage in der Ostschweiz am Sontag ein Artikel mit dieser Überschrift zum Thema der Hochsensibilität – und mir kommen die Tränen, länger. Dass sie endlich Beachtung findet, Raum erhält, immer mehr. Denn ja, auch ich gehöre dazu, zu den Hochsensiblen. Ziemlich eindeutig und diskussionslos. Nur dass mir das bisher von den Fachpersonen keiner zugestehen wollte oder wohl eher konnte. Lieber bleiben sie blind und behaupten, es gäbe keine Farben, nur weil sie sie nicht sehen können. In dieser kleinen Box gefangen, in der sie gedanklich feststecken und über die sie nicht hinaus denken können.

Aber genauso wie es mal als falsch galt, Linkshänder zu sein, oder Homosexualität als Krankheit missdiagnostiziert wurde, wird vielleicht irgendwann auch die Hochsensibilität – und noch so manch anderes – sich ihren Platz und ihre Anerkennung erkämpft haben. Verbunden mit viel Leid, das die Betroffenen auf dem bis dorthin steinigen Weg ertragen müssen – wie auch bei allem anderen, das es wagt, von einer Mehrheit abzuweichen. 

Für mich halt immer wieder die Frage, wer denn falsch, krank, gestört ist, wenn solche Bezeichnungen denn überhaupt angezeigt sind: derjenige, der Linkshänder ist, oder derjenige, der Rechtshänder ist und nicht akzeptieren kann, dass der andere halt seine linke Hand benutzt? Wo ist da eigentlich das Problem beziehungsweise wer macht es warum überhaupt erst zu einem? Müssen wir denn alle gleich sein? Warum?

Ich werde es wohl nie verstehen. Warum so viele Fachpersonen auch dermassen an ihrer engen, kleinen Box festhalten, und sich gleichzeitig dennoch erlauben, Machtpositionen zu besetzen und ihre Macht anderen gegenüber zu missbrauchen, indem sie diese dafür verurteilen, dass sie über die Box hinausgehen. Aber dies ist ein anderes Thema, dem meiner Meinung nach in den verschiedenen Ausbildungen und auch in der Öffentlichkeit bedeutend mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.

Ich befasse mich seit längerem mit der Hochsensibilität, da ich irgendwann einmal darauf stoss, „Zart besaitet“ von Georg Parlow las und mich total darin fand. Auch viele aus meinem Bekanntenkreis, denn gleich und gleich gesellt sich bekanntlich gerne. So schien es mir auch auf Reisen, dass viele Hochsensible aus allen Herren Ländern unterwegs sind, auf der Suche nach ihrem Platz in einer Gesellschaft, die zuerst einmal alles abwehrt, was sie nicht kennt. Und diesem zu verstehen gibt, dass es falsch sei, anders zu sein habe, so wie es doch immer war und immer bleiben soll.

Als prekär erlebe ich die Situation von Hochsensiblen vor allem auch in Helferberufen. Denn eigentlich sind sie prädestiniert dafür,, und so zieht es sie da ja auch hin, doch gehen sie darin eher selten auf und stattdessen mehrfach drauf, weil sie in Systemen gefangen sind, die ihre Stärken wie Einfühlungsvermögen, Intuition oder Sorgfalt abwürgen. Und sind dies nicht vor allem auch Eigenschaften, die mit der Weiblichkeit assoziiert werden, die ja auch ihren Platz in unserer Gesellschaft sucht. 

Ich glaube, dass immer mehr Hochsensible nachrücken, daher auch immer mehr Kinder „auffallen“, in Schulsystemen, die ebenfalls auf eine enge kleine Box ausgerichtet sind. Alle, die da nicht reinpassen, sollen dann möglichst passend gemacht werden, mit Vorliebe medikamentös, was mich immer wieder schockiert. Und so schockiert mich noch so manches, ist mir fremd. Genauso wenig wie Nicht-Hochsensible vielleicht mich verstehen können, verstehe ich sie beziehungsweise sehe ich schon, was worauf beruht, doch wünschte ich mir halt auch, es verhielte sich anders – herzlicher, toleranter, umsichtiger, sorgsamer.

Dann versuche ich mich aber immer wieder an der Nase zu nehmen und mir bewusst zu machen, dass ich ihnen schlecht etwas vorwerfen kann, dass sie eben nicht wahrnehmen können. Wenn ein Blinder Farben nun einmal nicht sehen kann, dann hat er dafür wohl eher mein Mitgefühl verdient als Vorwürfe, weil er sie mir nicht beschreiben kann. Und zum Problem wird dies ja auch erst dann, wenn eine Seite der anderen ihre Wahrnehmung abspricht und die ihrige zur Richtlinie erhebt. Etwas, das wir Menschen leider zu gerne tun. 

Dabei könnten wir uns so toll ergänzen. Mann und Frau, jung und alt, Nicht-Hochsensible und Hochsensible. Wir alle bringen unsere Qualitäten mit, und wie reich wären wir, wenn wir diese gemeinsam nutzen würden? So ist zum Beispiel Sensibilität ja nicht per se eine Schwäche, als welche sie von denen, denen es an ihr mangelt, gerne dargestellt wird. Im Gegenteil. Geben sich viele nicht gerade hart aus Angst vor ihren Gefühle und auch denen anderer? Dass es ihnen bequemer erscheint, diese abzublocken, als sie zuzulassen? Und gerade auch in Helferberufen, ist da nicht Fingerspitzengefühl gefragt, um den Leuten, die sich einem anvertrauen, nicht noch mehr zuzusetzen? Sie überhaupt in ihrer Situation wahrzunehmen, zuzuhören. 

Genauso wie wir schwarz ohne weiss nicht als schwarz kennen würden, brauchen wir das Gegenüber. Um die goldene Mitte, das richtige Mass und auch uns selbst zu finden. So kommt ein jeder von uns mit seinen ureigenen Qualitäten und Schwächen daher. Und es bringt wohl sehr wenig, immer wieder zu versuchen, etwas zu sein, dass man nun mal einfach nicht ist, anstatt sich auf seine Ressourcen zu konzentrieren, diese zum Wohle aller zu nutzen, und sich genauso seiner Schwächen bewusst zu sein und dort dann eben auf das Gegenüber zu bauen, das mich so wunderbar ergänzen kann, ohne dass mir deshalb ein Zacken aus der Krone zu fallen braucht. Wir können nie alles sein, und genau deshalb sind wir doch auch so herrlich bunt und vielfältig gemischt, damit eben doch alles vorhanden ist und zusammenspielen darf, wenn unsere Egos es denn zulassen können…

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