Ich möchte tolerant sein, offen, vorurteilsfrei. Und doch bin ich es nicht. Ich habe Vorurteile, en masse. So fahre ich zum Beispiel heute an einem Wahlplakat vorbei mit einem Mann mit ex-jugoslawischem Namen darauf (und damit werfe ich jetzt aufgrund von Unwissen auch gleich wieder mehrere unterschiedliche Sprachen und Nationalitäten in diesen einen Topf). Und ja, ich reagiere einfach anders darauf, als wenn eine Frau abgebildet wäre und Müller oder Meier stehen würde – und wenn SVP steht, ist’s bei mir sowieso grad gelaufen.
Ich habe dies auch vor ein paar Tagen mit einer Freundin diskutiert. Da ging es nicht um Wahlplakate, aber halt um sonst eines dieser vielen Vorurteile, die da so kreuchen und fleuchen. Ich kann nicht für andere sprechen, und vielleicht gibt es tatsächlich diesen einen vorurteilsfreien Menschen, aber so im Grossen und Ganzen wage ich einmal zu behaupten, dass wir alle Vorurteile haben. Und dass alles andere Wunschdenken ist. Denn sie helfen uns auch, geben uns Halt im Alltag, Orientierung. Dieses unberechenbare Leben, dem wir tagtäglich ausgeliefert sind. Wenn wir da abspeichern, dass sich gewisse Leute so und so verhalten (wie das der andere zehn Tage zuvor doch auch gemacht hat oder die anderen zwei, von denen da in der Zeitung berichtet wurde), dann gibt uns das ein vermeintliches Gefühl von Sicherheit, da wir zu wissen glauben, was von dem Menschen, mit dem ich es gerade zu tun habe, zu erwarten ist.
Und Vorurteile sind ja auch nicht per se immer schlecht. Manchmal geht’s auch auf und sie bewahren mich vielleicht vor Fehlentscheidungen oder lassen mich schneller reagieren, da ich mich darauf abstützen kann. Gleichzeitig werden Vorurteile sowie auch Verallgemeinerungen, die ich ebenfalls meiden möchte, aber dennoch nicht ohne kann, keinem von uns auch nur ansatzweise gerecht. Da wir nun einmal alles Individuen sind, und Vorurteile und Verallgemeinerungen vieles sein mögen, aber bestimmt nicht individuengerecht.
Ich mag von ihnen halten, was ich will, Fakt ist ja, ich habe sie. Und mir dessen bewusst zu sein, dass ist vielleicht das, worum es geht. Sie nicht zu haben, eine Illusion, zumindest für mich. Nur die Tatsache alleine, dass ich sie habe, ist teilweise bedauernswert, doch an sich kein Problem, wenn ich es nicht zu einem mache. Ich habe dann immer noch die Wahl. Möchte ich mich blind davon steuern lassen und mal wieder wild um mich projizieren oder stattdessen vielleicht besser kurz innehalten, mir vor Augen führen, was da gerade in mir abgeht, und mich dann entschliessen, Vorurteil Vorurteil sein zu lassen und es doch einfach mal in den Wind zu schiessen oder halt im Hinterkopf behalten als das, was es ist, und meinem Gegenüber dennoch die Chance geben, so ganz etwas anderes zu sein, als was ich da vermeintlich über ihn abgespeichert habe. Denn möchte ich das nicht auch von ihm, dass er mich nicht mit all diesen „steifen Bünzlis“, „hysterischen Weibern“ oder „esoterischen Spinnern“ in einen Topf wirft?